Das Maß der Dinge
Ich sitze da. Mit einer neuen Tasche voller Empfehlungen.
Kalorien. Makronährstoffe. Beispielpläne.
"Das Maß der Dinge", hatte die Beraterin gesagt.
Will ich doch alles gar nicht.
Ich will meine Intuition zurück.
Seit dem Schlaganfall funktioniere ich.
Aber ich will nicht funktionieren.
Ich will mich fühlen.
Neuroplastizität, denke ich.
Das muss doch auch für Emotionen gelten.
Mein Maß ist kein Gramm. Keine Liste. Kein Ernährungsprotokoll.
Mein Maß ist:
Wer bin ich, wenn ich satt bin?
Nicht voll. Nicht leer.
Sondern bei mir.
Ich bin nicht hier, weil ich hungere.
Ich bin hier, weil ich mich verliere.
In Tellern. Plänen. Rollen.
In der täglichen Frage:
Für wen mache ich das eigentlich?
Ich koche. Leider.
Mit Hass. Mit Wut. Mit Schuldvorwürfen –
(vielleicht, um mir selbst keine geben zu müssen?).
Aber nicht liebevoll.
Ich werfe Lebensmittel in den Topf.
Oft wütend.
Wut über das Funktionieren-Müssen.
Wut über das Zurück.
Wut über den Anspruch, dass es schmecken, nützen, verbinden soll.
Corona hat mir zuerst Geruch und Geschmack genommen.
Jetzt sind sie wieder da –
aber sie passen nicht mehr zu meinen Emotionen.
Ich schmecke mich nicht mehr.
Und trotzdem richte ich die Speisen fotogen an.
Weil ich gelernt habe:
Sichtbar sein ist manchmal das Einzige, was bleibt.
Auch wenn innen Chaos ist.
Oder Leerraum.
Gibt es eine Mari-Kondo für die Ordnung der Seele?
Früher war alles anders – und genau richtig
Ich aß 100 % roh. Unverarbeitet. Ungezähmt.
Ich wusste, was ich brauchte.
Und ich aß es.
🍃 Mango mit der Hand.
🌿 Lindenblätter direkt vom Baum.
🔥 Ein Stück Wildschwein am Stöckli – selten, aber dann mit allem, was ich war.
Kein Rezept. Kein Besteck. Nur Verbindung.
Heute passiert oft das Gegenteil
Ich mache, was andere brauchen.
Und merke zu spät: Ich war selbst gar nicht dabei.
Ich erinnere mich an eine Szene, die alles sagte:
Ich hatte mir ein einfaches Bruschetta gemacht.
Pur. Meins.
Ein gutmeinender Griff zur Schmalzpresse.
"So macht man das bei uns."
Ein Tropfen Schweineschmalz.
Nicht böse gemeint.
Aber:
Ein Übergriff.
Ich sagte nichts.
Ich aß es nicht.
Mir war übel.
Nicht vom Schmalz.
Sondern vom Gefühl, dass mein Nein nicht zählt.
Wie oft passiert genau das – im Kleinen?
Wie oft esse ich Dinge, die mir nicht guttun –
aus Rücksicht?
aus Anpassung?
aus Erschöpfung?
Wie oft schweige ich –
wo ich eigentlich Klarheit brauche?
Ich frage euch – die ihr roh esst, intuitiv, eigenwillig:
-
Wie bleibt ihr bei euch – mitten in Familiendynamiken?
-
Wie schützt ihr euer Maß – nicht nur am Teller, sondern im Alltag?
-
Wie lebt ihr euer Ich, ohne das Wir zu verlieren?
Mein Hunger ist kein Kaloriendefizit.
Es ist Bindungshunger.
Es ist Ich-Hunger.
Und vielleicht sitze ich genau deshalb wieder in so einem Raum –
nicht um etwas zu verändern,
sondern um mich zu erinnern:
Dass ich das Maß der Dinge in mir selbst trage.
Nicht gemessen in Nährwerttabellen.
Sondern in:
✨ Würde. Klarheit. Wahrheit.
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👩🍼 Mutterschaft – zwischen Liebe, Last und Lebenskraft
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