Der Sturz und der Vater, der mich kopfüber hielt – Letztes Aufeinandertreffen

05.05.2025

Ich war fünf Jahre alt. Einige ruhige Jahre lagen hinter mir – fast so, wie Kindheit eben sein sollte. Ich lebte damals im Saarland, bei meiner Tante. Aber vor allem war da mein Onkel. Ein stiller Held meiner frühen Jahre.

Er lobte mich nicht, um etwas zu bekommen – er sah mich einfach. Zeigte mir, wie man Kakao rührt, wie man im Garten arbeitet, wie es sich anfühlt, am Lenkrad eines LKWs zu sitzen. In seiner Nähe lernte ich: So fühlt sich Liebe an – ruhig, verlässlich, ohne Bedingungen. Diese Wärme trage ich bis heute in mir, und wenn ich meine Kinder halte, erinnere ich mich genau daran.

Damals ging ich schon in den Kindergarten, sammelte Kastanien, malte bunte Bilder. Ich lernte: Nicht jedes Haus ist laut. Nicht jede Nähe ist gefährlich. Ich erinnere mich an Lachen. An Vertrauen.

Doch dann kam der Tag, der alles veränderte. Meine Mutter meldete sich – mit dem Wunsch, mich wieder bei sich aufzunehmen. Zurück ins alte Leben, zurück ins Rheinland. Meine Tante konnte nichts dagegen tun.

Ich selbst verstand es nicht ganz. Es fühlte sich nicht schlimm an – nicht sofort. Schließlich würde ich meine älteren Schwestern wiedersehen. Auch die Brüder waren da, wenn auch zurückgezogen, mit geschlossenen Türen.

Das Haus roch wie früher. Ein bisschen nach Zigaretten, ein bisschen nach Teppichen, die zu viel erlebt hatten. Und dann war da plötzlich jemand, den ich kaum kannte. Der Mann, der mein Erzeuger sein sollte.

Er diskutierte laut mit meiner Mutter. Ich erinnere mich an seine Stimme, seine Präsenz – schwer, fremd. Ich beachtete ihn kaum. Fuhr auf meinem kleinen Dreirad auf dem Balkon. Ein Glas Wasser in der Hand. Vielleicht wollte zeigen, schau, was ich schon alleine kann.

Dann stürzte ich.

Das Glas zerbrach. Die Wunde war tief. Blut tropfte. Ich schrie auf – überrascht, erschrocken. Und dann kam er.

Er nahm mich nicht in den Arm. Sagte kein beruhigendes Wort. Stattdessen packte er mich an den Füßen, hob mich kopfüber hoch – und schüttelte mich. Mein Haar hing mir ins Gesicht, das Blut lief mir den Arm hinunter. Ich war kein verletztes Kind – ich war ein Ärgernis.

Dieses Bild hat sich tief eingebrannt. Die Hilflosigkeit. Die Scham. Das Gefühl, falsch zu sein – nicht sicher, nicht willkommen.

Meine Mutter brachte mich ins Krankenhaus. Sie schwieg. Ich bekam eine Spritze, meine Hand wurde genäht. Ich war ganz still. Ich schluckte die Tränen hinunter. Wollte tapfer sein. Vielleicht, um nicht noch einmal wie eine Last behandelt zu werden.

Die Narbe ist geblieben. Ein feiner Strich an meiner Handwurzel. Manchmal streiche ich mit dem Finger darüber. Und dann spüre ich wieder: Wie sehr ein Mensch fehlen kann, der einfach sagt: "Es ist gut. Ich bin da."

Ich habe ihn nie wieder gesehen. Dieses eine Treffen – es hat gereicht.

Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Frühe Kindheit & Herkunft]
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Was bleibt, wenn keiner bleibt. Wie frühe Bindungsbrüche mich geprägt haben.