Die Sprache der Familie – und die Rolle, die ich nicht spielen wollte
Am Anfang unserer Beziehung war alles noch neu und aufregend. Ich begegnete einem familiären Umfeld, das in vielen Dingen anders war als das, was ich bisher kannte – in den Werten, in der Kommunikation, im alltäglichen Miteinander. Ich glaubte, ich könnte einfach meine eigenen Maßstäbe setzen. Die Dinge auf meine Art leben. Doch das erwies sich als schwieriger als gedacht. Denn ich sprach die Sprache dieser Familie nicht.
Der erste gemeinsame Urlaub veränderte etwas in mir. Es war kein lautes Ereignis – eher ein stiller Wendepunkt, der tief nachhallte. Ich war in ein System eingetreten, dessen Regeln mir nicht bekannt waren. Ich spürte: Die Rollen waren längst verteilt. Und ich war eine Figur, die sich nicht einfach umschreiben ließ.
Mein Partner, so empfand ich es damals, versuchte mich in dieses System einzubinden – nicht aus bösem Willen, sondern vielleicht aus dem Wunsch heraus, Harmonie zu schaffen. Doch dabei entstand etwas, das sich wie ein inneres Korsett anfühlte. Eine Rolle, in die ich hineinwachsen sollte, die aber nicht zu mir passte.
Er übersetzte mich – nicht für mich, sondern für das, was das System erwartete. Ohne es vielleicht zu merken, versuchte er, mich anzupassen. Aber nicht an meine eigene Entwicklung, sondern an das, was "passen" sollte. Und ich? Ich verstand die Regeln nicht – und hatte auch nicht das Bedürfnis, ihnen blind zu folgen.
Besonders deutlich wurde das am Esstisch. Lautstärke. Tempo. Erwartung. Ich fühlte mich überfordert, innerlich überrollt. Es gab keinen Ort der Stille, keinen Raum für Rückzug. Ich saß da – still, erschöpft, innerlich fremd. Und ich aß, was mir nicht gut tat – nicht aus Hunger, sondern aus Anpassung.
Ich wurde leiser. Angepasster. Aber nicht aus Überzeugung. Und je mehr ich mich verbog, desto weiter entfernte ich mich von mir selbst. Es war, als hätte ich versucht, in eine Hülle zu schlüpfen, die mir nicht gehörte. Und der Druck, den ich dabei auf mich selbst ausübte, hinterließ Spuren.
Nach diesem Urlaub konnte ich nicht mehr. Mein Körper meldete sich. Eine sogenannte Frozen Shoulder – eine schmerzhafte, körperliche Blockade, die mich in meiner Beweglichkeit stark einschränkte. Für mich war das mehr als nur ein orthopädisches Problem. In meiner eigenen Deutung, inspiriert u. a. von Rüdiger Dahlkes psychosomatischen Ansätzen, war es Ausdruck einer tieferliegenden inneren Überforderung.
Meine Schultern, Träger von Verantwortung und Belastung, waren wie eingefroren. So wie ich selbst in einer Rolle erstarrt war, die ich nicht gewählt hatte. Ich konnte mich kaum noch bewegen – weder körperlich noch emotional.
Der Weg zum Arzt war nötig. Aber der Weg zu mir selbst war entscheidender – und deutlich länger. Es war der Beginn eines Prozesses, in dem ich erkannte: Ich bin mehr als eine Reaktion auf fremde Erwartungen. Ich habe eine eigene Stimme. Eine, die nicht länger schweigen konnte. Eine, die sich nicht mehr einpassen will – sondern gehört werden möchte.
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