Ein sicherer Hafen – und das leise Gift am Rand
Die ersten Monate mit unserem Kind waren friedlich. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben entstand ein Raum, den ich gestalten durfte – so, wie ich ihn brauchte. Und wie mein Kind ihn brauchte. Ich war nicht überfordert. Nicht zerrissen. Ich war einfach da. Ganz. Und mein Kind spürte das. Deshalb gelang mir vieles leichter als erwartet. Es fühlte sich stimmig an. Ich war eine ausgeschlafene, zufriedene Mutter.
Mein Partner arbeitete damals in einem festen Job mit klaren Arbeitszeiten. Er kam nach Hause, wenn es bereits nach warmem Essen und Geborgenheit roch. Wir aßen zusammen – oft still, manchmal verbunden. Unser Kind lag bei mir, trank, schlief, wuchs. Ich stillte nicht nach Plan oder Empfehlung, sondern nach meinem Gefühl. Das Buch Intuitives Stillen von Regine Gresens begleitete mich dabei – nicht als Regelwerk, sondern als stille Bestätigung: Es darf auch einfach so gehen.
Ich hatte keinen Raum für Routinen, die von außen kamen. Keine Stimmen, die sagten: "Gib doch mal ab." Ich wollte kein "auch mal". Ich wollte Nähe, Verbindung, Verlässlichkeit – für mein Kind. Und, unausgesprochen, auch für mich selbst.
Ich schuf einen Raum, den ich selbst nie erlebt hatte. Und in mir wurde es still.
Doch am Rand dieser neuen Welt – dort, wo der Blick selten verweilte – wuchsen leise Zweifel.
Sie kamen nicht als Vorwürfe. Eher wie ein kaum spürbarer Luftzug, der erst auffällt, wenn er unangenehm wird. Kommentare von außen. Vielleicht aus Fürsorge, vielleicht aus Überforderung. Es waren nicht die Worte allein – es waren die Blicke, die Töne, die Zwischentöne. Über unser Leben, unsere Entscheidungen. Über mich.
"So kannst du doch nicht ewig leben."
"Ein bisschen Fläschchen wäre doch auch okay."
"Das Kind wird ja ganz schön verwöhnt."
Es war kein direktes: "Du machst es falsch."
Aber es klang mit. Und ich spürte es.
Und er? Er stand daneben. Manchmal still, manchmal mit einem Lächeln, das nicht ganz seins war. Worte fielen, die nicht wie seine klangen. Ich war nicht allein – aber ich fühlte mich nicht gesehen.
Ich begann zu spüren: So ruhig mein Kind an meiner Brust lag, so laut wirkten im Hintergrund alte Muster. Die Versuche, mich in Form zu bringen – nicht offen, nie klar. Eher wie ein vorsichtiges Zurückschneiden, wenn etwas zu wild wächst. Worte, die wie Komplimente klangen, aber einen Haken hatten.
Was sie nicht wussten: Ich war nicht mehr bereit, mich klein machen zu lassen. Nicht in dieser Rolle. Nicht in dieser neuen Geschichte.
Doch es blieb nicht folgenlos. Die Spannung dieser Zeit zeigte sich auf ihre Weise – erst leise, dann spürbarer. In Form von Unruhe, Erschöpfung, körperlichen Warnzeichen. Zeichen, die man gerne übersieht, bis sie nicht mehr leise sind.
Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Mutterschaft - zwischen Liebe, Last und Lebenskraft]
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