Geschwisterbindung stärken: Wie aus Streit Verbindung wird

10.05.2025

Ich stehe in der Küche, das Geschirr klappert, während ich zwei Stimmen aus dem Nebenzimmer höre – sie steigen an, schlagen über. Wieder ein Streit. Wieder dieser Moment, in dem ich als Mutter gefragt bin. Nicht als Richterin, nicht als Streitschlichterin, sondern als etwas Drittes: als Halterin des Raumes zwischen ihnen.

Zwei Kinder. Zwei Plätze. Und eine Geschichte davor – meine.

Als mein zweites Kind geboren wurde, war mir bewusst, was in vielen Familien geschieht: das Erstgeborene wird vom Thron gestoßen. Ich habe versucht, genau das nicht zu tun. Ich wollte beiden Kindern Raum geben, ohne das eine zu kränken oder das andere zu bevorzugen. Ich habe mich bemüht, nicht in den klassischen Reflex zu verfallen, das Kleinere zu beschützen und dem Größeren "Reife" abzuverlangen, die es vielleicht noch gar nicht tragen kann.

Ich wollte eine neue Ordnung schaffen. Und irgendwo spüre ich heute: Ich habe den Sturz vermieden – aber der Bogen, der zwischen ihnen schwingen könnte, ist noch nicht ganz gespannt.

Sie spielen oft, lange, intensiv. Sie lachen, verschwinden in ihren Welten. Und dann – plötzlich – taucht sie auf, die Abwertung. Vor allem von der Großen gegenüber der Kleinen. Wie eine scharfe Kante im weichen Gewebe. Ich höre "du bist doof" – und in meinem Körper zieht sich etwas zusammen. Nicht aus Schock, sondern aus Erinnerung.

Denn da ist auch meine Geschichte. Ich bin das sechste Kind, geboren in eine Familie, die schon fünf hatte – wobei das fünfte in einer anderen Familie aufwuchs. Auch ich wurde nicht bei meiner Mutter groß. Ich kam zu einer ihrer älteren Schwestern. Zwischen ihnen war Streit. Und ich, das Kind, geriet zwischen die Fronten. Ich lernte früh, mich nicht zu sehr zu ähneln, nicht zu sehr aufzufallen. Ich lernte, Ordnung herzustellen, wo keine war. Ich wurde sensibel für Stimmungen, für das, was unausgesprochen blieb.

Heute sehe ich meine kleine Tochter, wie sie nach einem Streit beginnt, Zahlen auf ihrer Trinkflasche laut zu lesen. Und ich erkenne mich. In ihrem Versuch, Ordnung zu schaffen, um wieder atmen zu können. Ich knie mich zu ihr, halte sie, benenne, was ich sehe: "Du willst Ordnung schaffen, oder?" Sie nickt. Ich sage ihr, dass ich das auch mache und dass das ein wertvoller Weg ist. Und dann frage ich: "Wollen wir zurückgehen und gemeinsam das Chaos feiern?" Sie sagt Ja.

Und in diesem Ja entsteht etwas. Nicht Frieden – aber Verbindung.

Ich glaube, Kinder brauchen nicht, dass wir ihre Konflikte lösen. Sie brauchen Räume, in denen sie sich halten, verlieren und wiederfinden dürfen. Und sie brauchen Erwachsene, die nicht aus ihrer eigenen Geschichte heraus reagieren, sondern mit ihr. Ich reagiere heute nicht, um meine eigene Vergangenheit zu reparieren. Ich handle, weil ich sie kenne – und weil ich will, dass meine Kinder etwas anderes leben dürfen.

Ich glaube, der Bogen zwischen Geschwistern entsteht nicht durch Gleichbehandlung, sondern durch Anerkennung. Du bist die Erste. Du bist die Zweite. Ihr seid verschieden. Und ich liebe euch beide. Genau so.

Aber noch mehr: Der Bogen entsteht aus mir. Je mehr ich meinen eigenen Platz anerkenne – als Tochter, als Mutter, als die, die zwischen zwei Schwestern stand – desto freier können meine Kinder ihren eigenen finden. Und dann wird aus Streit nicht Trennung, sondern Reibung. Aus Reibung Wärme. Und aus der Wärme vielleicht – irgendwann – ein "Wir".

Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Geschwister als Team]