Ich esse zuerst
Selbstfürsorge am Familientisch: Warum ich zuerst esse
Ich habe begonnen, mein Essen allein zu essen.
Ein kleiner Teller. Kein großes Ritual, aber doch eine Art stilles Bekenntnis:
Ich bin auch Teil dieser Familie – und ich darf satt sein, bevor es laut wird.
Früher habe ich gekocht, vorbereitet, geplant. Ich habe geschmeckt, abgeschmeckt, geliebt. Ich habe versucht, alle abzuholen – die Kinder, den Partner, ihre Eigenheiten, Vorlieben, Stimmungen. Ich wollte, dass alle sich gesehen fühlen. Und irgendwie bin ich dabei selbst unsichtbar geworden.
Wenn wir dann am Tisch saßen, war ich innerlich schon erschöpft.
Manchmal auch enttäuscht.
Nicht über das Essen – sondern über das Gefühl, dass es nie um mich ging.
Dass mein Teller nie wirklich auf dem Tisch lag.
Also habe ich etwas verändert.
Etwas Kleines. Aber Entscheidendes.
Bevor ich alle rufe, nehme ich mir einen Teller.
Ich setze mich. Ich atme. Ich koste. Ich spüre, was ich da gemacht habe. Ich spüre: mich.
Und wenn ich dann höre, wie die Stühle geschoben werden, wie die Kinder streiten, wie mein Partner die Saftflasche sucht und keiner weiß, wo das Besteck ist –
dann denke ich nicht mehr: "Ich muss hier Ordnung halten."
Dann denke ich:
"Jetzt feiere ich mit euch das Chaos."
Es hat gedauert, bis ich mir das erlaubt habe.
Bis ich verstanden habe, dass Selbstfürsorge nicht bedeutet, mich abzuwenden – sondern mich mitzunehmen.
Dass ich nicht egoistisch bin, wenn ich mich nähre – sondern ehrlich.
Dass ich nicht härter werden muss, um klar zu sein.
Im Gegenteil: Ich wurde weicher.
Und weil ich weicher wurde, konnte ich bleiben.
Nicht als Funktion – sondern als Mensch.
Der Tisch ist noch genau so perfekt gedeckt.
Und manchmal sind die Gespräche wild, zu laut, zu viel.
Aber ich sitze da. In mir. Nicht verloren.
Weil ich vorher da war.
Ich esse zuerst.
Nicht, weil ich mehr wert bin. Sondern weil ich lange genug gewartet habe, mich selbst einzuladen.
Und jetzt feiere ich. Nicht nur das Essen. Sondern auch,
dass ich mich nicht mehr vergesse.
Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Mutterschaft - zwischen Liebe, Last und Lebenskraft]
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