Ich hasse Dich Mama!

08.07.2025

Was bindungsorientierte Erziehung nicht ist – und was sie in echt bedeutet

Später Nachmittag am Strand. Die Sonne geht tiefer, das Licht wird golden. Die Kinder sind voller Sand, voller Energie – und plötzlich voller Wut.

"ICH HASSE DICH, DU DOOFSTE MAMA DER WELT! ICH WILL HIERBLEIBEN!"

Meine große Tochter, acht Jahre alt. Laut, verzweifelt, in ihrer eigenen Wahrheit.
Früher hätte mein Herz geklopft. Heute bleibe ich.
Ruhig.
Verankert.

"Ich sehe, dass du wütend bist. Du darfst das doof finden, dass wir jetzt gehen müssen. Ich akzeptiere deine Wut. Ich liebe dich auch mit der."

Sie holt aus, will mich hauen. Ich trete einen Schritt zurück.

"Stopp. Nein. Ich lasse mich nicht hauen."

Ich gehe nicht weg. Aber ich bleibe klar.

"Ich verstehe, dass es für dich doof ist. Mir ist kalt. Mein Körper sagt: Grenze. Ende. Wir müssen gehen."

Und dann – wie ein Sonnenstrahl durch Sturmwolken – grätscht ihre jüngere Schwester rein:

"Ich würde auch lieber noch bleiben. Aber ich finde es doof zu streiten. Und wenn mir kalt ist, will ich auch gehen."

Bam. Lehrbuchmäßig.

Die Große schaut auf. Tränen im Gesicht. Irritiert. Berührt.

"Wirklich? Alle wollen gehen?"

Ein zögerliches Ja. Dann kommt sie näher. Lässt sich umarmen.

"Es war aber doof, dass wir gehen mussten. Wenn wir wenigstens dreißig Minuten hätten bleiben können."

Ich halte sie. Und sage leise:

"Oh, ich sehe – du fandest das viel zu kurz. Weißt du was? Das waren dreißig Minuten. Aber du hattest noch ganz viele Ideen. Du konntest das alles nicht machen, richtig?"

"Ja. Richtig."

Und genau das ist Bindung

Nicht: Ich erkläre dir, warum du jetzt "funktionieren" musst.
Sondern: Ich sehe dich. In deiner Enttäuschung. In deinem Wunsch. In deinem Schmerz.

Bindungsorientiert heißt: Ich halte dich – auch, wenn dein Plan geplatzt ist.
Ich sage Nein – aber ich bleibe weich.
Ich lasse dich nicht allein in deiner Wut. Ich bleibe bei dir, auch wenn ich eine Grenze ziehe.

Es geht nicht um Gehorsam – sondern um Beziehung

Wäre es einfacher, einfach zu gehen, zu drohen, zu schimpfen? Vielleicht.

Aber leichter heißt nicht besser.

Ich habe selbst erlebt, wie sich Angst anfühlt. Wie Ohnmacht den Raum verschließt. Und ich habe mir geschworen: Meine Kinder sollen erleben, dass Konflikt keine Bedrohung ist – sondern ein Ort, an dem man sich trotzdem halten kann.

Mein Fazit

Bindungsorientierung ist nicht weichgespült.
Sie ist stark. Klar. Liebevoll.

Sie sagt:
"Ich gehe mit dir durch deinen Sturm. Aber ich verliere mich nicht dabei."

Und manchmal sagt sie auch:
"Ich sehe dich. Auch wenn es doof ist."

Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Mutterschaft – zwischen Liebe, Last und Lebenskraft]
zum Weiterlesen hier → [Ein sicherer Hafen – und das leise Gift am Rand]