Kuchenkrümel auf der Schulter – und eine Grenze, die keiner sah
Es war nicht der erste Urlaub, aber es war der erste nach der Diagnose. Sein Vater hatte war sehr krank, und obwohl wir wussten, dass diese Reise schwer werden würde, wollten wir als Familie gehen. Ich hatte mich vorbereitet. Nicht auf den Tod, dafür war es noch zu früh. Aber auf das, was drumherum passieren würde.
Ich hatte mit ihm gesprochen. Nicht nur einmal. Immer wieder. Ich hatte erklärt, wie wichtig es war, dass wir unseren Raum halten. Dass unser Kind nicht der Puffer werden durfte. Kein Trostpflaster. Kein Ablenkungsmanöver. Keine Projektionsfläche für das, was ihnen vielleicht fehlte.
Die ersten Tage liefen besser als erwartet. Die üblichen Kommentare, ja. Der unterschwellige Druck, das Kind zu "bespaßen", zu "füttern", zu "fördern". Aber noch konnten wir es abfedern. Ich blieb wachsam, mein Partner bemühte sich.
Und dann kam der zweite Urlaub. Der Abschied. Sein Vater war schwer krank, wir wussten, es würde das letzte Mal sein. Und ich war müde vom Wachen. Von der inneren Bereitschaft, jederzeit dazwischengehen zu müssen.
Es war nur ein Moment.
Unsere Tochter saß auf seinem Arm. Unsere Regeln waren klar: kein Zucker, kein Fertigprodukt. Baby Led Weaning, selbstbestimmt, intuitiv. Unser Weg. Ein Weg, der nicht diskutiert werden sollte.
Und dann – ganz beiläufig – sehe ich, wie seine Mutter zum Kuchen greift. Ein industrielles, süßes, buntes Stück, das sie unserem Kind in den Mund schiebt.
Ich sehe es.
Ich friere.
Er sieht es auch.
Er streicht sich die Krümel von der Schulter, als wäre nichts passiert. Als ob es keine Bedeutung gehabt hätte. Als ob meine Worte, mein Gefühl, die Grenzen, die ich für uns alle gesetzt habe, keine Rolle spielten.
Ich spüre in diesem Moment alles:
Das Kind in mir, das sich nie beschützt fühlte.
Die Mutter in mir, die es einfach nur anders machen wollte.
Die Frau in mir, die realisiert: Er wird mich hier nicht verteidigen.
Nicht gegen seine Mutter. Nicht gegen das System, das immer recht zu haben glaubt, nur weil es älter ist.
Und vielleicht war das der Moment, in dem etwas in mir still zerbrach. Nicht laut. Kein Streit, kein Geschrei. Nur diese Krümel auf seiner Schulter – das Symbol dafür, dass ich in diesem System allein war mit meinem Anspruch auf Integrität.
Ich war gekommen, um Abschied zu nehmen. Stattdessen verabschiedete sich etwas in mir: die Hoffnung, dass er wirklich auf meiner Seite stand.
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