Was bleibt, wenn keiner bleibt. Wie frühe Bindungsbrüche mich geprägt haben.
Es war nur ein kurzer Moment – ein Sturz, ein Schrei, eine blutende Hand. Aber in Wirklichkeit war es weit mehr. Es war der Augenblick, in dem sich etwas in mir endgültig verschloss. Das Vertrauen, das ich mühsam aufgebaut hatte, zerbrach wie das Glas, das ich an diesem Tag in der Hand hielt. Und der Mensch, der eigentlich "Vater" sein sollte, griff nicht nach meinem Herzen, sondern nach meinen Füßen.
Bis heute begleitet mich diese Szene. Sie taucht nicht immer auf in klaren Bildern – manchmal nur in einem Ziehen in der linken Hand, in einer plötzlichen inneren Kälte, wenn jemand laut wird, wenn jemand sagt: "Stell dich nicht so an." Ich weiß inzwischen: Das sind tiefe Spuren von Bindungsbrüchen. Und sie verschwinden nicht einfach. Sie wachsen mit einem mit.
In den Jahren danach habe ich früh gelernt, wie man sich anpasst. Ich war das Kind, das keine Umstände machte. Das brav war, zuverlässig, "pflegeleicht". Ich spürte genau, was andere von mir brauchten – und ich gab es ihnen. Nicht aus Berechnung. Sondern aus einem tiefen Wunsch, gemocht zu werden. Gesehen zu werden. Nicht wieder abgeschoben, ausgetauscht, enttäuscht zu werden.
Doch je mehr ich versuchte, zu gefallen, desto weiter entfernte ich mich von mir selbst. Ich lernte, wie man lächelt, obwohl es weh tut. Wie man leise bleibt, obwohl man schreien will. Und wie man liebt – vor allem mit Vorsicht.
Vertrauen war nie einfach für mich. Ich beobachtete Menschen, bevor ich ihnen etwas zeigte. Ich prüfte ihre Nähe, suchte nach Anzeichen von Gefahr, nach diesem ungreifbaren Moment, in dem Zuneigung umkippen könnte. Ich hatte gelernt, dass Nähe eine Vorstufe von Schmerz sein kann. Und dass auch ein "Ich bin für dich da" jederzeit verschwinden kann – ohne Erklärung, ohne Entschuldigung.
Bindungsbrüche hinterlassen keine blauen Flecken, die nach ein paar Tagen verschwinden. Sie hinterlassen Fragen, Unsicherheiten, Muster. Ich habe oft gespürt, wie mein Körper sich erinnert, bevor mein Verstand begreift, was gerade in mir vorgeht. Manchmal reicht ein bestimmter Tonfall, eine Bewegung, ein Geruch – und ich bin wieder fünf. Wieder auf diesem Balkon. Wieder am Boden.
Und doch: Ich schreibe das nicht, um Schuld zu verteilen. Ich schreibe, weil es wichtig ist, dass diese Geschichten sichtbar werden. Dass Menschen verstehen, wie früh sich Prägung festsetzt. Wie viel Kraft es kostet, ein Urvertrauen aufzubauen, das nie wachsen durfte. Und wie sehr ein Kind darunter leidet, wenn keiner bleibt – wenn Liebe nicht sicher ist, nicht konstant, nicht echt.
Heute weiß ich: Ich bin nicht mehr dieses Kind. Aber das Kind in mir ist noch da. Und es verdient, gehört zu werden.
"Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Frühe Kindheit & Herkunft]"