Wenn das Trauma zurückkehrt – und du nicht zurückgehst

09.06.2025

Ich sitze hier mit meiner Kleinen auf der Couch, sie ist beim Stillen eingeschlafen, deswegen bewege ich mich nicht und die Stille fühlt sich fast zu laut an.
Etwas in mir bebt – kaum sichtbar, aber unübersehbar, wenn ich ehrlich bin. Mein Körper spricht längst: Die Gelenke tun weh, das Herz rast, der Kopf pocht. Wieder. Schon wieder.

Ich habe Trauma erlebt. Das wusste ich.
Ich dachte nur, es sei abgeschlossen –  verarbeitet, längst ausgemistet und nicht mehr meins.
Doch mit der Schwangerschaft kam etwas zurück. Nicht nur das Leben meines Kindes – sondern auch all das, was ich nie vollständig fühlen oder halten konnte.
Es war, als hätte das Leben eine Tür geöffnet, die ich gut verriegelt glaubte. Und plötzlich stand ich wieder mitten in einer Geschichte, die ich eigentlich nicht mehr schreiben wollte.

Was ich erst allmählich verstand: Schwangerschaft öffnet nicht nur den Körper. Sie öffnet auch die Vergangenheit. Sie ruft vergessene oder ungesehene Anteile, ungesagte Sätze und ungeweinte Tränen zurück an die Oberfläche. Und das tut sie nicht, um mich zu quälen – sondern um mich zurückzuholen zu mir selbst.

Ich war nicht nur dabei, ein Kind zu bekommen. Ich war dabei, mich selbst wiederzufinden – eine jüngere Version meiner selbst, die so lange übersehen wurde.
Das kleine Ich, das sich allein, schuldig, beschämt oder machtlos gefühlt hatte.

Jetzt, als werdende Mutter, war sie plötzlich wieder da – nicht um mich zu überfordern, sondern um gesehen zu werden. Ich merkte, dass ich nicht nur ein neues Leben schenkte,
sondern gleichzeitig alte Erfahrungen neu verhandeln musste.

In manchen Momenten fühlte es sich an wie eine Retraumatisierung. Mein Nervensystem reagierte mit Alarm, meine Gedanken rasten, meine Reaktionen wurden unberechenbar. Ich war aufgewühlt, erschöpft, überfordert. Alte Schutzmechanismen – Rückzug, Funktionieren, emotionale Taubheit – kamen zurück wie alte Bekannte. Doch ich spürte gleichzeitig: Es war nicht wie früher. Denn diesmal blieb ich präsent. Ich konnte beobachten, was geschah. Ich konnte, wenn auch mit Mühe, bei mir bleiben.

Es war nicht bloß ein Rückfall. Es war eine Rückkehr – aber mit dem Unterschied, dass ich heute erwachsen bin. Ich habe heute Möglichkeiten, mich zu halten, mir Hilfe zu holen, mich zu regulieren. Ich bin nicht mehr das Kind, das ausgeliefert ist. Ich bin heute die Frau, die Entscheidungen trifft.

Ich begann zu begreifen, dass dieses Wiederauftauchen des Traumas kein Zeichen von Schwäche war – sondern eine Einladung zur Integration. Mein Körper, der so lange geschwiegen oder nur in Symptomen gesprochen hatte, meldete sich mit aller Deutlichkeit. Die rheumatoide Arthritis, die Tachykardien, der Schlaganfall – all das war nicht nur medizinisch erklärbar, sondern auch eine Sprache des Körpers, der sagte: "Hier ist noch etwas, das gesehen werden will." Nicht, weil ich versagt hätte, sondern weil ich endlich offen genug war, hinzusehen.

Heilung bedeutet nicht, dass es nie wieder wehtut. Es bedeutet, dass ich heute in der Lage bin, dazubleiben, wenn es wehtut. Dass ich mich nicht mehr selbst verlasse, sondern Mitgefühl entwickle – für mich, für die Kleine in mir, für den ganzen Weg, den ich gegangen bin. Es bedeutet, dass ich heute unterscheiden kann, was aus der Vergangenheit stammt und was wirklich im Jetzt geschieht. Dass ich mir selbst mehr und mehr glauben lerne.

Ich werde auf diesem Weg nicht alles richtig machen. Ich werde an meine Grenzen kommen, ich werde alte Muster wiederholen. Aber ich werde achtsamer sein. Wahrhaftiger. Und ich weiß heute: Ich bin nicht krank. Ich bin empfindsam. Durchlässig. Ich bin nicht zurückgefallen – ich bin tiefer eingestiegen. Und ich werde nicht die Geschichte meiner Kindheit wiederholen, sondern eine neue Geschichte schreiben – für mich, für meine Kinder, für das System, das durch mich hindurch heilt.

Dieser Beitrag ist Teil der Wegmarke: [Mutterschaft - zwischen Liebe, Last und Lebenskraft]
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